Intervallfasten 16:8 - Ist das ein Zeitgeist-Flop?

vom 22.06.2021

Der Hype um das intermittierende Fasten - allen voran der Form 16:8 - scheint einer desillusionierten und enttäuschenden Realität zu weichen. Woran mag das liegen? Ist es das zeitliche Format oder eher die schlechten Ergebnisse, welche damit erzielt wurden? "Ich nehme damit nicht ab!" "Das ist nicht umsetzbar!" "Ich fühle mich schlechter als vorher!" "Es ist grausam - ich habe damit zugenommen!" sind nur wenige Aussagen, die mir begegnet sind. Was ist passiert?

Der TV-Arzt und Moderator Dr. med. Eckhard von Hirschhausen postulierte Ende 2019* seine erstaunlichen Ergebnisse mit Intervallfasten 16:8 und gab unter anderem bekannt "Sie können essen, was Sie wollen!" Und - "Es ist keine Diät!" Er trat damit einen wahren Boom los. Seit über einem Jahr habe ich nun regelmäßig Patienten und Klienten vor mir, die nicht nur keine, sondern oft auch schlechte Ergebnisse mit dieser Ernährungsform gemacht haben. Waren sie doch motiviert und willens, etwas für ihre Gesundheit zu tun, sitzen sie heute frustriert vor mir und erhoffen sich eine Lösung.

ein Beispiel...

Die 35 jährige Frau - nennen wir sie Mara - klagt über nicht purzeln wollende Pfunde, Bauchweh und Abgeschlagenheit. Sie hatte das Programm 16:8 entdeckt und wollte damit das Thema selbst in die Hand nehmen. Sie ist total enttäuscht. Die Mama einer 3 jährigen Tochter ist berufstätig - in der Zeit von 8 Uhr bis 15 Uhr. Sie steht morgens um 5:30 Uhr auf, um alle Vorbereitungen für den Tag zu treffen. Kind auf die Kita vorbereiten, erste Handgriffe im Haushalt, sich selbst "berufsfein" machen u.s.w.

Damit sie abends gegen 20 Uhr mit ihrem Ehemann (kommt erst um 19 Uhr nach Hause) noch essen kann, hat sie ihren Intervall zwischen 13 Uhr und 21 Uhr gelegt. Sie ißt um 13 Uhr ein bis 2 Brötchen mit Käse und Marmelade, dazu ggfs noch einen Fruchtjoghurt. Zwischendurch werden Reiswaffeln, Möhren und Weintrauben geknabbert. Am Nachmittag ißt sie mit der Schwiegermama ein Stückchen Kuchen. Abends gibt es mit dem Ehemann ein Abendessen, welches das fehlende Mittagessen ersetzt. Will heißen - klassische deutsche Küche mit Kartoffeln/Nudeln/Reis sowie Fleisch und etwas Gemüse - selbst gekocht und nur Bio. Sie schläft schlecht und zu allem Übel hat sie auch noch 2 kg zugenommen.
Was ist passiert?

das Zeitfenster 

Es hörte sich so wunderbar einfach an. Ich schiebe mein Essen in ein von mir gewähltes Zeitfenster von 8 Stunden, mache 16 Stunden Pause und schon geht alles von ganz alleine. Ich mache keine Diät, sondern brauche nur diesen zeitlichen Automatismus in Gang setzen. Der Körper wird leichter, ich fühle mich fitter und endlich bin ich auf dem Weg! Pustekuchen!!! Es funktioniert nicht - warum?

Das Zeitfenster der Essenaufnahme ist einerseits biologisch vorgegeben und andererseits natürlich auch abhängig von dem Zeitraum, in dem wir Leistung erbringen, also Energie verbrauchen.
Es gibt ein Zeitfenster, welches sich für unseren Lebensraum als das zu favorisierende Essenintervall anbietet.

  • Start 8 Uhr - Ende 16 Uhr
  • Start 9 Uhr - Ende 17 Uhr
  • Start 10 Uhr- Ende 18 Uhr

Start sollte in der Zeit zwischen 8 Uhr und 10 Uhr sein, daraus ergibt sich ein Ende der Essenphase in der Zeit zwischen 16 Uhr und 18 Uhr. Bin ich ein Frühaufsteher und fällt meine Hochleistungszeit in das erste Drittel des Tages, so sollte der Beginn eher Richtung 8 Uhr sein. Dieses gilt für Menschen, die weder in einer Spät- noch in einer Nachtschicht arbeiten müssen, sondern tagsüber.



Die Verdauungsleistung sinkt bei uns Menschen zum späten Nachmittag sehr ab. Daher ist ein eher frühzeitiges Aufhören mit der Nahrungsaufnahme gegen Spätnachmittag bzw. frühen Abend sehr sinnvoll. Auch sollte die Energie bereitstellende Nahrung da aufgenommen werden, wo sie ge- und vor allem verbraucht wird. Und dass passiert nicht abends auf dem Sofa.

die Essenspausen in den 8 Stunden

Dazu kommen Pausen zwischen den Mahlzeiten auch während der 8 Stunden Nahrungsaufnahme. Als Faustformel gilt folgendes

  • mindestens 4 Stunden zwischen den Hauptmahlzeiten
  • Zwischenmahlzeiten mit Mindestabstand von 2 Stunden nach/vor der nächsten Hauptmahlzeit


So fördern wir eine vollständige Verdauung und kommen, wenn gewünscht, in die zusätzliche Reservenverbrennung der Fettpölsterchen (siehe Speiseplan).

der Speiseplan

"Sie können essen, was sie wollen!" - Da braucht es erst einmal die Frage, womit der zukünftige Intervallfastende denn im Moment seinen Speisplan füllt. Sieht dieser so aus, wie bei unserer Mara, ist das nicht zielführend. Und dazu kommt die Frage, ob Gewicht reduziert werden soll.

Das Ziel des Intervallfastens ist klar. Priorität hat die Gesundheit und ein möglichst langes Leben ohne bzw. mit wenig Erkrankungstendenz. Des Weiteren kann ich diese Ernährungsform zur Gewichtsreduktion nutzen und damit meine Gesundheit weiter fördern. Soweit so gut. Fangen wir mit Punkt 1 an. Egal ob wir intervallfasten oder nicht, eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist dafür einfach zwingend notwendig.

  1. buntes, gut verdauliches Essen
  2. wenig tierische Produkte
  3. reichlich pflanzliche Produkte
  4. nährstoffdichte Produkte - reich an Vitalstoffen
  5. ausgewogen in den Makronährstoffen Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett und Ballaststoffen

Kommt jetzt der Wunsch nach Punkt 2 - der Gewichtsreduktion - dazu. Nun gilt es, die Strategie noch etwas zu überarbeiten. Ohne Austricksen der Energiebilanz - weniger aufnehmen als verbrauchen - ist auch mit dem Intervallfasten eine Gewichtsabnahme nicht möglich. Es kann sogar, wie bei Mara, das Gegenteil eintreten. Wenn in Summe die Energieaufnahme in den 8 Stunden nicht verbraucht wird und dazu noch weitere Versorgungsfehler kommen (schlechte Nahrungszusammenstellung, keine Essenpausen...) kommt es auch bei Intervallfasten zu einer Gewichtszunahme. 

mein persönliches Fazit

Intervallfasten ist nicht einfach. Es braucht - wie übrigens bei jeder anderen Ernährungsform auch - eine gesunde Basis. Erst wenn die grundlegenden Bausteine gelegt sind, kann der Intervall festgelegt werden. Und dann - nur dann - werden die überaus positiven Auswirkungen dieser Ernährungsform sichtbar. Sorgt man nicht für eine gesunde Basis, kann das Intervallfasten sogar schaden. Von Mangelernährung über Verdauungsstörungen bis zu Gewichtszunahme ist alles drin.

Ich bin ein großer Fan von Fasten im Allgemeinen. Ich empfehle allerdings jedem "Beginner" / "Anfänger" hier mit einem Unterstützer zu arbeiten. Letztendlich soll ein Fastenerlebnis - auch in Intervallen - zu einer Bereicherung und nicht zu einer Belastung führen. Intervallfasten als Ernährungsumstellung sofort zu Anfang zu nutzen, das ist schon eine sportliche Herausforderung. Im Alltagswahnsinn oft nicht alleine umsetzbar. Es dann auch noch zur Gewichtsreduktion auszubauen - das ist schon Höchstleistung und braucht viel Know-how - zumindest, wenn die Gewichtsreduktion gesund verlaufen soll.

Und nun finde ich heute eine aktuellen Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung**. Wie zu so vielen Dingen, gab es nun eine Studie zum Intervallfasten versa klassischer energiereduzierter Ernährung.
Lesen Sie selbst - wenn es also um Gewichtsabnahme geht, wäre Intervallfasten eher nicht die perfekte Wahl. Geht es allerdings um "Entlastung" des Systems, ist es ein wunderbares Tool. 

 

* Link zum Video mit EvH
https://www.youtube.com/watch?v=fX7xcMyTThI

** Link zum Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/klassisches-kaloriensparen-besser-als-intervallfasten-126274/